Samstag, 21 Muharram 1446 | 27/07/2024
Uhrzeit: (M.M.T)
Menu
Hauptmenü
Hauptmenü
  •   |  

بسم الله الرحمن الرحيم

 Antwort auf eine Frage

Die starke Protestbewegung in Algerien

Frage:

Sky News veröffentlichte am 17.03.2019 unter der Überschrift „Innerhalb von Tagen - die Proteste in Algerien treffen den sensiblen Nerv der 'Macht'“ Folgendes: „Der Chef des größten unabhängigen Gewerkschaftsbundes Algeriens hat angekündigt, rechtliche Schritte für einen Generalstreik im Energiesektor innerhalb der nächsten Tage einzuleiten, darunter in der Öl- und Erdgasbranche.“ Da hatte Bouteflika bereits seine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen zurückgezogen. Allerdings hatte er die für den 18. April angesetzten Wahlen verschoben und eine Konferenz angekündigt, um einen Wahltermin festzulegen. Das stieß bei den Menschen jedoch auf Ablehnung, die es als eine Verlängerung seiner nunmehr vierten Amtszeit betrachteten, was Millionen von Algerier am darauffolgenden Freitag (15. 03.2019) auf die Straße trieb. Es war die größte Massendemonstration seit Beginn der Protestwelle am 22.02.2019. Daher stellen sich folgende Fragen: Ist diese Protestbewegung, vor allem wenn es zu einem Streik im Erdölsektor kommen sollte, lokal entstanden, oder haben internationale Akteure ihre Finger im Spiel? Wird sich in der politischen Landschaft Algeriens ein Wandel ergeben? Wird sich Bouteflika trotz dieser Proteste ein weiteres Jahr an der Macht halten können, wie aus seinen jüngsten Beschlüssen hervorgeht?

Antwort:

Wir wollen uns anhand der Chronologie der Ereignisse und der verschiedenen internationalen Akteure, die ihre Finger im Spiel haben könnten, der Beantwortung der Fragen widmen, und zwar wie folgt:

1- Die Protestwelle hat offenbar als spontane und natürliche Aktion begonnen und war eine Folge von Unterdrückung und Korruption seitens der Regierung, dem ganzen Regime und den darin Verantwortlichen. Diese haben öffentliche Gelder geplündert und die Menschen Armut und Not leiden lassen. Die Lebensbedingungen der Menschen verschlechterten sich dramatisch, ihre Probleme in allen Bereichen vervielfachten sich. Abdelaziz Bouteflika regierte autokratisch, änderte 2008 schlicht die Verfassung, indem er den Artikel zur Beschränkung der Amtsperiode des Präsidenten auf zwei Amtszeiten außer Kraft setzte. Das ermöglichte ihm die viermalige Übernahme der Regierungsmacht in Folge; und nun strebte er eine fünfte Amtszeit an, trotz seiner angeschlagenen Gesundheit nach einem 2013 erlittenen Schlaganfall, der ihn an den Rollstuhl fesselte und seine Sprechfähigkeit stark einschränkte. Nichtsdestotrotz reichte er am 3. März seine offizielle Kandidatur ein. Der Zorn der Menschen brach umso heftiger aus und verstärkte die Proteste in den unterschiedlichen Provinzen, die aber friedlich blieben.

2- Zur Täuschung der Menschen richtete sich Bouteflika am 11.03.2019 mit einer Botschaft an das algerische Volk und teilte folgende Beschlüsse mit: „Erstens: Es gibt keinen Raum für eine fünfte Amtszeit. Ich hatte nie die Absicht, sie anzustreben, da meine gesundheitliche Verfassung und mein Alter es nicht mehr zulassen, außer dass ich die letzte Pflicht dem algerischen Volk gegenüber erfüllen möchte. Diese besteht darin, eine neue Republik zu verankern, als Rahmen für das algerische Regierungssystem, das wir anstreben. Zweitens: Es wird am 18. April keine Präsidentschaftswahl geben, um euren nachdrücklichen, an mich gerichteten Forderungen nachzukommen. Drittens: Ich habe beschlossen, substantielle Korrekturen an der Zusammensetzung der Regierung in allernächster Zeit vorzunehmen. Viertens: Die unabhängige nationale Generalkonferenz wird ein Gremium sein, das alle nötigen Autoritäten genießt, um sämtliche Reformen zu studieren, vorzubereiten und zugrundezulegen, die die Fundamente der neuen Ordnung bilden sollen. Auch soll ein pluralistisches präsidiales Gremium bestimmt werden (…). Dieses soll darüber wachen, dass der Prozess nicht länger als bis zum Ende des Jahres 2019 andauert. Fünftens: Die Präsidentschaftswahl wird nach Abschluss der nationalen Generalkonferenz durchgeführt werden.“ (Radio Algerie, 11.03.2019) Diese Ansprache hat die Menschen zusätzlich aufgebracht, da Abdelaziz Bouteflika versuchte, sich den Menschen anzubiedern, und behauptete, nie eine weitere Amtszeit angestrebt zu haben, obgleich er genau das durch seine Kandidatur getan hat! Die Menschen haben begriffen, dass Bouteflika seine derzeitige vierte Amtszeit durch List in die Länge ziehen wollte und die Wahlen absagte, um den Einfluss seines korrupten Machtzirkels tiefer zu verankern.

3- Unter dem Druck der Straße kündigte Bouteflika im Rahmen der am 11.03.2019 mitgeteilten Beschlüsse an, die Regierung unter Premierminister Ahmad Ouyahia aufzulösen, um nach außen zu demonstrieren, dass sich ein Wandel im Land vollziehen und er die Korruption bekämpfen werde. Als ob die Menschen dann mit ihm zufrieden wären, wenn er ein Medium der Korruption durch ein anderes der gleichen Art ersetzt! Doch offensichtlich haben die Menschen dieses Täuschungsmanöver durchschaut, daher verstärkten sich die Massenproteste am Freitag (15.03.2019) nach der Bouteflikas Ansprache. Im Zuge der neuen Beschlüsse wurde Noureddin Bedoui zum neuen Premierminister ernannt und Ramtane Lamamra zu dessen Stellvertreter, der sein Amt als Außenminister auch weiter ausüben sollte. Doch genützt hat es ihnen allen nichts. Beide Männer versuchten mit den Beschlüssen Bouteflikas, die Menschen hinters Licht zu führen. So betonte Noureddin Bedoui am 14.03.2019 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem Stellvertreter, die Übergangsphase werde nicht länger als ein Jahr dauern. Mit der Verschiebung der Wahlen durch den Präsidenten sei man dem Willen des Volkes nachgekommen. Man sei dabei, Konsultationen bezüglich der Bildung einer Regierung zu führen, die aus Technokraten bestehen solle. Ferner rief Bedoui zur Errichtung eines „neuen Rechtsstaates“ auf. An die Opposition appellierte er, sich daran zu beteiligen. (Algier TV, 14.03.2019) Tags zuvor äußerte sich Ramtane Lamamra gegenüber dem algerischen Staatsrundfunk und sagte: „Es ist ein Dialog notwendig. Unsere Priorität ist, die Algerier zusammenzubringen. Die neue Ordnung wird auf dem Willen des Volkes aufgebaut werden.“ Allerdings verfügen die Menschen über ein größeres Bewusstsein, als dass sie sich davon täuschen ließen. Denn es hat sich gezeigt, dass den Algeriern gerade dieser Punkt bewusst ist. Sie haben all das abgelehnt und an ihrer Forderung festgehalten, dass Präsident Bouteflika zurücktreten soll - und mit ihm Bedoui und Lamamra. Sie wiesen auch das Angebot eines Dialogs zurück ebenso wie den hinausgeschobenen Abtritt des Präsidenten und den bloßen Austausch von Gesichtern. Diese Weigerung seitens der Bevölkerung spiegelte sich besonders deutlich wider, als am 15. März Millionen von Algeriern die Straßen und Plätze füllten. Das Regime war damit in die Ecke gedrängt und reagierte mit der Verhaftung von Demonstranten!

4- Das Militär, so hat sich gezeigt, stützte Staatschef Bouteflika und dessen Regierung. So drohte Ahmed Gaid Salah, stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef der Streitkräfte Algeriens, der außerdem bekannt ist für seine starke Loyalität zu Bouteflika, den Demonstranten und sagte: „Es gibt einige, die das Land in die schmerzhaften und brennenden Jahre zurückversetzen wollen.“ Er versicherte, dass die Armee „an den Zügeln für die Schaffung von Schutz und Sicherheit festhalten“ werde. Es gebe „gewisse Parteien“, denen es missfalle, „Algerien stabil und sicher“ zu sehen. Diese wollten zu den „Jahren des Leids und des Feuers“ zurückkehren.“ (al-Shark al-Awsat, 05.03.2019) Bereits am 26. Februar drohte er, mit Härte gegen die „verblendeten“ Demonstranten, wie er sie bezeichnete, vorzugehen. Er verurteile die aus dem Verborgenen agierenden Seiten, die dazu aufrufen, auf die Straße zu gehen. Doch kurz danach ruderte das Verteidigungsministerium wieder zurück und forderte alle Medienanstalten auf, die Drohungen Salahs nicht zu verbreiten. Dann gab er sich volksnah und sagte: „Ich werde nicht müde, stolz auf die Großartigkeit der Beziehung und des Vertrauens zwischen dem Volk und der Armee zu sein. Ausgehend von diesem guten Verhältnis (erkläre ich): Das Volk ist aufrichtig und loyal und sich der Bedeutung dessen, was ich gesagt habe, bewusst.“ (Sky News, 13.03.2019) Es ist kein Geheimnis, dass das Militär die Kontrolle über das Land innehat. Präsident Bouteflika war es gelungen, alte, profranzösische Militärs aus der Führungsebene zu entfernen und durch ihm nahestehende Generäle zu ersetzen. Daher ist es offensichtlich, dass die Spitzen von Armee und Sicherheit aus Personen bestehen, die Bouteflikas britischer Linie folgen. So konnte man verfolgen, wie die BBC am 08.03.2019 Armeechef Ahmed Gaid Salah und seinen Aufstieg in einem positiven Licht darstellte: Für viele gilt Generalleutnant Ahmed Gaid Salah seit jenem ‚September 2013‘, als er zum stellvertretenden Verteidigungsminister aufstieg und den Posten des Stabschefs der algerischen Streitkräfte beibehielt, als die rechte Hand Bouteflikas. Denn es hieß, dass die alte Führung des Geheimdienstes, mit Mediène („General Toufik“) als dessen Chef, den Präsidenten stürzen wollte, während er sich zur medizinischen Behandlung in Frankreich aufhielt. (…) Doch nach der Beförderung Ahmed Gaid Salahs konnte dieser eine Reihe hochrangiger Geheimdienstgeneräle ausschalten. Abdelaziz Bouteflika hatte bereits am 13.09.2015 General Toufik seines Amtes als Leiter des algerischen Geheimdienstes enthoben.

5- Die Proteste begannen also als spontane Aktion. Im weiteren Verlauf jedoch versuchten internationale Akteure, die Demonstrationen zu instrumentalisieren und für jeweils eigene Interessen zu intervenieren. Bevor wir uns dem zuwenden, möchten wir zuvor aus unserer Veröffentlichung vom 23.09.2015 zitieren, in der die Realität der internationalen Auseinandersetzung in Algerien beschrieben wurde:

Es ist ein Staat von Gewicht. Er widersetzte sich vehement den Plänen Amerikas, mehr noch als sein Nachbarstaat. Denn seit dem Staatsstreich Boumedienes gegen Ben Bella, der mit Jamal Abelnasser der US-Linie folgte, steht Algerien unter britischem Einfluss, mit zwischenzeitlich französischen „Wallungen“, die bisweilen auch stärker wurden, besonders während der Amtszeit einiger schwacher Präsidenten. (…) Boumediene hielt sich vom 19.06.1965 bis zu seinem Tod am 27.12.1978 an der Macht. (…) Bouteflika übernahm 1999 das Amt des Präsidenten und blieb es bis zum heutigen Tage. Und noch immer hat Bouteflika ein inniges Verhältnis zu den Briten. Gekrönt wurde dies im Jahr 2006, als er nach Großbritannien reiste - der erste Besuch eines algerischen Präsidenten in das Vereinigte Königreich überhaupt. (…) Zwar existiert innerhalb der algerischen Armee eine Clique französischer Loyalisten mit einem gewissen Einfluss. Diese ist sich der Bindung Bouteflikas zu Großbritannien und dessen Abneigung zur französischen Politik bewusst. Gleichwohl ist die Frankreich-Clique in den Reihen der Armee bis heute nicht in der Lage, Bouteflika das Amt des Präsidenten zu entreißen! Und obgleich die Briten die Franzosen nicht so sehr fürchteten wie die Amerikaner, was die britische Einflussnahme in Algerien betrifft, so sind sie - die Briten - doch zu der Ansicht gelangt, diesen französischen „Wallungen“ ein Ende zu setzen. Denn das würde die Stärkung der eigenen Vormacht bedeuten. Dieses Vorhaben gingen die Briten jedoch schrittweise an, denn die eigentliche Auseinandersetzung war jene mit den USA, nicht mit Frankreich. Die Änderungen innerhalb der Riege der profranzösischen Generäle lief daher diskret ab, ohne, wie es sonst im Rahmen einer Auseinandersetzung üblich, Aufsehen zu erregen. (…) Und selbst als Bouteflika am 13.09.2015 einen ranghohen, Frankreich-treuen General von seinem Posten entließ – es handelte sich um Geheimdienstchef Mohamed Lamine Mediène, bekannt als „General Toufiq“ - so geschah auch das auf unspektakuläre Weise, ohne dass es den strukturellen Aufbau des Regimes antastete! Man kann behaupten, dass Bouteflika mit diesen, mit britischer Hilfe durchgeführten Entlassungen, bis zu einem gewissen Grad erfolgreich war. Zwar gibt es innerhalb des Militärs noch immer einen Raum, den Frankreich besetzt hält, besonders da, wo es um die Geistesbildung und das Training der Armee geht, das größtenteils noch aus Frankreich kommt. Doch ging der „Konflikt“ Bouteflikas mit dem Militär, wie bereits erwähnt, „sanft“ und ruhig über die Bühne, eher zu vergleichen mit einem sportlichen Wettkampf, ohne Einfluss auf die relevanten Belange des Regimes zu nehmen. (Ende des Zitats)

6- In derselben Veröffentlichung erwähnten wir ebenfalls:

Dies unterscheidet sich von der wahren Auseinandersetzung mit den USA, die das Land politisch in Besitz nehmen wollen und deren Plänen für Algerien, (…) so zum Beispiel:

a) Nachdem sich Spanien 1976 nach 91 Jahren der Kolonialisierung aus der Sahara-Region zurückgezogen hatte, witterten die USA ihre Chance in der Bewegung „Frente Polisario“, die die Unabhängigkeit der Westsahara anstrebte. Die Amerikaner nutzten sie als Vorwand zur Intervention in Nordafrika, insbesondere in Algerien. Doch dem Regime in Algerien, also Großbritannien, ist dieser Sachverhalt nicht entgangen. Die „Frente Polisario“ wurde daher in einem Streifen an der Grenze eingeschlossen und unter Beobachtung gehalten, denn man hatte erkannt, dass die Amerikaner diese Organisation infiltriert hatten. (…) Obwohl die UNO-Missionen ebenso wie die UNO-Beauftragten in der Westsahara-Frage unter der Dominanz der USA standen, gelang es den Amerikanern nicht, ihre Vormacht in Algerien zu etablieren. (…)

b) Die USA versuchten mit dem Argument der „Terrorbekämpfung“ in Algerien eine Basis für ihre Streitkräfte zu errichten, die unter der Bezeichnung AFRICOM operieren. Doch die algerische Regierung stellte sich dagegen, denn es war ihr (und dahinter Großbritannien) bewusst, dass eine solche US-Basis dem Zweck dient, sich in algerische Angelegenheiten einzumischen. Daher hat das algerische Außenministerium am 03.03.2007 erklärt; dass Algerien nicht daran interessiert sei, ein Quartier der US-amerikanischen Spezialeinheit für Afrika „AFRICOM“ zu beherbergen.

c) Amerika versuchte die Mali-Ereignisse vom 22.03.2012 auszunutzen, um den Antiterrorkampf ins Spiel zu bringen. Es kam zu einem Austausch von Besuchen zwischen den USA und Algerien. Algerien sollte - in Kooperation mit den USA – im „Kampf gegen den Terror“ mit ins Boot geholt werden, und zwar mit dem Argument, dass sich der Terror auf Algerien ausweiten könnte. Trotzdem hat sich Algerien – und dahinter Großbritannien – den Plänen Amerikas verweigert. Zu den prominentesten Besuchern in diesem Zusammenhang zählte Hillary Clinton, die mit Präsident Bouteflika am 29.10.2012 zusammentraf. (Ende des Zitats)

7- Daraus wird deutlich: Die auf internationaler Bühne stattfindenden französisch-britischen Beziehungen ähneln unter den derzeitigen Umständen einem sportlichen Wettkampf, während das anglo-amerikanische Verhältnis einem brodelnden internationalen Konflikt gleichkommt. Dieser Zustand hält nach wie vor an. Die USA und Frankreich versuchen nun beide, die Proteste zu ihrem Vorteil auszunutzen, in der Hoffnung, dass ihre jeweiligen Vasallen sich an die Spitze der Menschen setzen und sich so an die Macht schleichen können, um die Stelle der Großbritannien-Vasallen einzunehmen. Das tun sie in jeweils unterschiedlicher Herangehensweise:

Die USA: Vom Sprecher des US-Außenministeriums Robert Palladino ließen die USA am 05.03.2019 erklären: „Wir beobachten die Demonstrationen in Algerien, und das werden wir auch weiterhin tun. Die Vereinigten Staaten stehen hinter dem algerischen Volk und seinem Recht, friedlich zu demonstrieren.“ (BBC, 06.03.2019) Das war die allererste US-Reaktion auf die Ereignisse in Algerien, was ein Signal dafür ist, dass die USA diese Proteste für ihre Interessen nutzen möchten. Nachdem Bouteflika beschlossen hatte, die Wahlen abzusagen, ließen die USA über ihren Außenamtssprecher Palladino mitteilen: „Wir unterstützen die Bemühungen in Algerien, einen neuen Weg zu zeichnen, ausgehend von einem Dialog, der den Willen aller Algerier sowie deren Hoffnung auf eine sichere und prosperierende Zukunft wiederspiegelt. Wir respektieren das Recht der Algerier, zu demonstrieren und friedlich ihre Position zum Ausdruck zu bringen. Wir verfolgen sehr genau die Berichte über die aufgeschobenen Wahlen. Ebenso unterstützen wir das Recht des algerischen Volkes, durch faire und freie Wahlen entscheiden zu dürfen.“ (Reuters, 12.03.2019) Die Entschlüsse Bouteflikas ließ der US-Sprecher allerdings unkommentiert. Sie wurden von den USA ignoriert, was den Eindruck vermittelt, dass diese Beschlüsse nicht unbedingt auf die Zustimmung der Amerikaner stießen, sondern dass sie vielmehr dagegen waren, die Wahlen abzusagen.

Es war nicht zu verkennen, dass die US-Zeitungen kurz nach Bekanntgabe der Entscheidungen Bouteflikas, eine ihm und seinen Beschlüssen gegenüber ablehnende Position zeigten. Die „New York Times“ thematisierte den Standpunkt der Opposition und deren Zweifel an den Absichten Bouteflikas. Dessen Botschaft an die Demonstranten bezeichnete das Blatt als eine „Täuschung“. Dagegen warnte die „Washington Post“ vor Bouteflikas Versuch, seine Amtszeit auf inoffiziellem Wege zu verlängern, um eine Übergabe der Macht an einen Nachfolger und eine Räumung des Feldes zu umgehen. Auf diese Weise wurde deutlich, dass die USA eine negative Haltung zu Bouteflika haben und daran arbeiten, die Proteste auszunutzen, um über sie den US-Einfluss im Land auszubreiten. Denn Letzteres versuchten sie - wie oben ausgeführt – bereits in der Vergangenheit und versuchen es noch immer. Mit ganzer Kraft trachten sie danach, jeden Vorfall auszunutzen, so, wie sie es in allen Ländern tun. Und das tun sie sicher nicht aus Sorge um die Völker. Denn schließlich haben sie dafür gesorgt, dass die Proteste in Ägypten, Irak, Syrien, Somalia, Afghanistan und in anderen Ländern niedergeschlagen wurden, sei es über die direkte Intervention mittels eines Umsturzes oder über den Weg der mit ihnen verbündeten Länder bzw. Vasallenstaaten, die stellvertretend für sie intervenieren.

- Die französische Position: Frankreichs Position ist ambivalent – mal auf der Seite Bouteflikas, mal gegen ihn. Frankreich versucht, eine Gelegenheit zu nutzen, sich dort einzunisten, ohne jedoch Großbritannien herauszufordern. Die Geschehnisse in Algerien werden von Frankreich mit großem Interesse verfolgt, so, als ginge es um innerfranzösische Ereignisse. Ohnehin betrachtet sich Frankreich als Vormund seiner ehemaligen Kolonien! Das französische Außenministerium erklärte am 04.03.2019: „Paris hat Kenntnis erhalten über den Entschluss des algerischen Präsidenten Abdulaziz Bouteflika, für die im April angesetzten Präsidentschaftswahlen zu kandidieren und es hofft, dass unter den bestmöglichen Umständen abgestimmt wird.“ Ferner verlautete es aus dem Außenministerium: „Es liegt in der Hand des algerischen Volkes, wen es als seinen Führer wählen wird. Und es liegt in der Hand des algerischen Volkes, was im Zusammenhang mit seiner Zukunft geschehen soll.“ (Reuters, 04.03.2019) Der französische Staatssekretär des Ministers für Europa und auswärtige Angelegenheiten, Jean-Baptiste Lemoyne, betonte gegenüber „Radio France Internationale“ am 05.03.2019: „Die algerischen Behörden sind dazu aufgerufen, den jungen Menschen das Demonstrieren zu erlauben. Frankreich findet, dass die jungen Menschen ihre Meinung ruhig zum Ausdruck bringen, also lassen wir sie doch!“ Aber nachdem die Beschlüsse Bouteflikas bekannt wurden, begrüßte sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und meinte: „Die Entscheidung des algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflikas zum Verzicht auf eine Kandidatur für eine fünfte Amtszeit, schlägt ein neues Kapitel in der Geschichte Algeriens auf.“ Er plädierte zudem für „eine Übergangsphase in einem vernünftigen Zeitrahmen.“ „Wir werden alles dafür tun“, so Macron, „um in dieser Übergangszeit an der Seite Algeriens zu stehen, in Freundschaft und Respekt.“ Auch Frankreichs Außenminister Le Drian begrüßte den Schritt Bouteflikas und dessen Maßnahmen zur Modernisierung des politischen Systems Algeriens. (Radio Algérie, 12.03.2019)

Es sieht so aus, als würde Frankreich die Protestbewegung befürworten, während es gleichzeitig vermeiden will, den algerischen Präsidenten zu provozieren, und begrüßt deswegen seine Entscheidung! Denn Frankreich hat zwei Dinge im Visier: Es möchte einerseits auf eine möglichst moderate Art intervenieren, ohne das Regime in Algerien zu provozieren und andererseits dabei nicht den Eindruck erwecken, auf Seiten Amerikas und gegen Bouteflika zu stehen. Wenn Frankreich schon nicht den Platz Großbritanniens in Algerien einnehmen kann, so bevorzugt es als Teil Europas – zur Not - die Vormacht Großbritanniens als die der USA.

Was die französische Presse betrifft, so gab France 24 am 02.03.2019 die Kommentare französischer Zeitungen wieder: In der Zeitung „Le Parisien“ heißt es: „Die jungen Algerier dürstet es nach sozialer Gerechtigkeit, und sie wollen eine Veränderung, vor allem diejenigen, die keinen anderen Präsidenten in ihrem Leben kennen als Bouteflika.“ Weiter schreibt die Zeitung: „Die jungen Algerier verstehen inzwischen nicht, warum sie die Konsequenzen der Vergangenheit tragen sollen, die sie nicht kennen. Es sind junge Leute voller Vitalität und Aktivität, die mehr verdienen als politische Vorherrschaft, die ihnen ein Regime aufgezwungen hat, das sich hinter einem Phantom-Präsidenten versteckt.“ Die (rechte) Tageszeitung „Le Figaro“ überschrieb den Artikel, der den Protesten in Algerien gewidmet war, mit: „Eine Flutwelle gegen das algerische Regime“. Das Blatt wies insbesondere darauf hin, dass sich einige bekannte Persönlichkeiten aus den verschiedenen Parteien und aus der Politik an den Demonstrationen beteiligen, wie etwa Ali Benflis, Chef der Partei „Tala’i al-hurriyat“, Rachid Nekkaz, der zu den kommenden Wahlen als Präsidentschaftskandidat antreten wollte, Ahmed Benbitour, der frühere Premierminister sowie Abdelaziz Rahabi, der in der ersten Amtszeit Bouteflikas zurückgetretene Kulturminister. (aus France 24, 02.03.2019)

8- Was Großbritannien betrifft, so kam von dort kein einziges offizielles Statement. Bei der BBC standen die Proteste nicht im Mittelpunkt ihrer Berichterstattung. Sie waren ihr nicht mehr wert als eine Randnotiz. Kritik an den Maßnahmen Bouteflikas war von der britischen Presse nicht zu vernehmen, noch stellte sie sich auf die Seite der Demonstranten. Das heißt mit anderen Worten: Die Briten stehen hinter Bouteflika und unterstützen ihn. Von britischer Seite ist also ein Sturz Bouteflikas nicht erwünscht, und deswegen werden die Algerier von medialer Seite nicht aufgewiegelt. Die Ereignisse haben in den britischen Medien keine Omnipräsenz und werden nicht in den Fokus der Berichterstattung gestellt, anders als es etwa bei den Massenprotesten in Ägypten, der Türkei oder im Sudan der Fall war. Dort konzentrierten sie sich ganz auf die Oppositionsbewegungen, auf deren Statements und deren Gallionsfiguren, besonders auf diejenigen unter ihnen, die ihnen, also den Briten, nahestanden. Darüber hinaus stellten sie auch das repressive Vorgehen der Regime in den Fokus. Das alles ist im Falle Algeriens nicht zu beobachten, was beweist, dass Großbritannien die politische Vorherrschaft in Algerien innehat und sich der Handlungen Bouteflikas und Konsorten sicher ist. Die Briten tun ganz so, als ginge sie die Angelegenheit nichts an - und bleiben dabei ihrer perfiden, verschlagenen Politik treu: Sie treten nicht vor die Kulissen, um sich ihre Vasallen zu erhalten!

9- Das wahrscheinliche Fazit zu den gestellten Fragen lautet folgendermaßen:

a) Die Proteste waren eine spontane und natürliche Aktion, als Reaktion auf die politischen und wirtschaftlichen Missstände. Bouteflika und sein Clan meinen, ein Monopol über die Macht und das Geld im Lande zu haben. Sie nehmen sich das Recht heraus, die Verfassung nach eigenen Maßen zurechtzuschneiden. Und trotz seiner Gebrechlichkeit und seiner Bewegungs- und Sprechunfähigkeit verlängert Bouteflika - statt einer fünften Amtszeit – einfach seine vierte Amtsperiode! Er und seine Bande werden der Korruption und der Veruntreuung öffentlicher Gelder beschuldigt, während die Bevölkerung unter miserablen Bedingungen leben muss, die das Resultat der Armut, der Preiserhöhungen, der Arbeitslosigkeit und mangelnder Möglichkeiten sind, die Grundbedürfnisse zu decken. Das ließ die Kaufkraft in Algerien immer weiter sinken. Und das, obwohl das Land über immense Rohstoffe verfügt, vor allem über Erdöl- und Gasvorkommen. Doch die werden von ausländischen Unternehmen geplündert, zusammen mit den Machthabern im Regime und dem Bouteflika-Clan. Die Menschen indes gehen an der Härte und Drangsal des Lebens zugrunde.

b) Abdelaziz Bouteflika will in seiner Funktion als Staatschef die Bühne partout nicht verlassen - bis der Tod ihn dahinraffen wird. Gestützt wird er dabei vom Militär ebenso wie von der britisch dominierten Politklasse, da Großbritannien die politische Vorherrschaft in Algerien innehat und das Regime sowie dessen Vertreter erhalten möchte. Für Großbritannien ist es in seiner Konfrontation mit den USA in Nordafrika enorm wichtig, dass das Regime probritisch bleibt. Denn Algerien stellt sich dem US-Vasallen in Libyen, Khalifa Haftar, entgegen, und arbeitet ferner an der Vereinnahmung der Bewegung Frente Polisario, die von den USA unterstützt wird.

c) Frankreich wiederum hat kolonialistische Interessen in Algerien, sowohl auf politischer als auch auf kultureller und wirtschaftlicher Ebene. Und noch immer regen sich alte kolonialistische Gefühle, wenn es um Algerien geht. Frankreich einigte sich mit den Briten, die seit dem Putsch Boumediens 1965 Algerien ihrer Kontrolle unterwerfen konnten, darauf, den USA die Stirn zu bieten - dem Rivalen beider Länder im Hinblick auf kolonialistische Bestrebungen und hegemoniale Einflussnahme. Zwischen Frankreich und Großbritannien herrscht ebenfalls Eintracht darüber, sich den Muslimen im Land entgegenzustellen, die danach streben, sich aus der Schlinge des westlichen Kolonialismus zu befreien und sich der kolonialistischen Länder und aller Varianten des Kolonialismus zu entledigen. Die Bevölkerung sehnt sich nach dem Islam, nach der Errichtung des Staates des Islam und nach seiner Implementierung. Denn die Mehrheit der Bewohner weiß: Gerechtigkeit, Wahrheit und Wohl sind nur im Islam zu finden – nirgendwo sonst. Die Frankreich-Vasallen führten 1992 einen Putsch durch und bescherten dem Land Schlechtigkeit und Korruption. Sie ermordeten Hunderttausende, so, wie es ihnen ihr französischer Herr vorgemacht hatte, als er anderthalb Millionen toter Algerier zurückließ, die während des Befreiungskampfes umgebracht wurden. Auf alle Fälle kann gesagt werden, dass sich den jetzigen Protesten auch einige Gefolgsleute Frankreichs anschlossen und auf der Welle mitschwammen – allerdings, wie wir erwähnten, mit Vorsicht.

d) Amerika hingegen arbeitet unter Ausnutzung der Umstände und Proteste daran, nach Algerien vorzustoßen. Die USA bedienen sich dabei der Behauptung, gegen Unterdrückung und Diktatur zu sein und das Recht des Volkes zu unterstützen. Doch Unrecht, Tyrannei und Despotismus kümmern sie nicht. Vielmehr sind sie der Hüter all dessen in allen Teilen der Erde und stehen hinter diktatorischen, tyrannischen Regimen, insbesondere in den muslimischen und darunter in den arabischen Ländern. Sie sind es, die das Regime von Salman und seinem Sohn in Saudi-Arabien unterstützen ebenso wie das Regime al-Sisis in Ägypten. Im Irak unterstützen sie das Regime in direkter und in Syrien in indirekter Form mittels ihrer Verbündeten und Vasallen. Ihre Sorge gilt nicht dem algerischen Volk. Sie haben vielmehr vor, eine Militärbasis in Algerien für ihre „AFRICOM“-Truppen zu errichten, um Einfluss in Nordafrika zu gewinnen, zumal von dort aus der Vorstoß in Richtung Südsahara und Westafrika möglich ist, wo man Frankreich als Hegemon ersetzen will. Die Amerikaner sind auch erbost darüber, dass sich Algerien ihrem Agenten Khalifa Haftar in den Weg stellt, der Westlibyen unter seine Kontrolle bringen will. Abgesehen davon haben die USA auch das Bestreben, die Rohstoffe Algeriens unter ihre Kontrolle zu bringen.

 

e) Was das algerische Volk betrifft, so ist ihm bewusst, was vor sich geht. Zu den Parolen, die die Menschen skandierten, gehörte: „Nicht Washington und nicht Paris. Den Präsidenten wählen wir.“ Das zeigt, dass die Menschen die Fremdeinmischungen und die Ziele der Interventionen erkannt haben und ihnen dies bewusst ist. Denn sie haben ihre Erfahrungen mit Vasallen und deren Verbrechen gemacht. Das Volk weiß um die Rolle der Kolonialstaaten und weiß, dass diese hinter dem Regime, den Vasallen und den korrupten Personen stecken. So strebt das Volk in ernster Absicht nach einem Wandel und sehnt sich nach der Rückkehr des Islam. 1991 wurden mit einer Mehrheit von 84% jene gewählt, die mit dem Versprechen aufgetreten sind: Wir werden den Islam wieder an die Macht bringen. Das Aufkommen der islamischen Emotionen bei den Menschen war offensichtlich, als die Demonstrationen nach den Freitagsgebeten von den Moscheen aus starteten. Auch die säkularen Personen unter den Teilnehmern unterwarfen sich dem, nachdem sie sahen, wie die Muslime in Massen zum Gebet in die Moscheen strömten.

f) Was als Resultat dieser Protestbewegung zu erwarten ist: Die aktive politische Klasse in Algerien, die an den entscheidenden Hebeln sitzt, besteht mehrheitlich aus Loyalisten Großbritanniens. Frankreichs Männer hingegen wurden immer schwächer und gerieten ins Hintertreffen, da es Präsident Bouteflika im Laufe seiner 20-jährigen Amtszeit gelungen ist, die meisten von ihnen aus den sensiblen Posten zu entfernen und sie von den Orten, in denen Entscheidungen getroffen werden, zu verbannen. Worauf sie maximal spekulieren, ist weniger, den Platz der Großbritannien-Vasallen in der Regierung einzunehmen, sondern eher, an weniger zentralen Stellen teilzuhaben. Selbst das hängt davon ab, inwieweit sie erfolgreich darin sind, die derzeitigen Proteste auszunutzen und auf deren Zug aufzuspringen, um sich mehr Gewicht zu verschaffen.

Was die USA betrifft, so fehlt ihnen der politische Zirkel, auf den sie sich stützen könnten. Üblicherweise greifen sie in solchen Fällen zum Militär, doch das steht derzeit hinter dem Regime.

Das bedeutet: Die derzeitigen Proteste werden wahrscheinlich die politische Loyalität des Regimes nicht verändern, sie wird sich also nicht von den Briten weg hin zu Frankreich oder den USA bewegen.

g) Ob nun Abdelaziz Bouteflika weiter im Amt bleibt oder nicht, so regiert de facto ohnehin nicht er, sondern der Machtzirkel um ihn herum, der wie er aus Vasallen Großbritanniens besteht. Es wäre nicht abwegig, dass - wenn sich die Proteste ausweiten und insbesondere, da Streiks in der Öl- und Erdgasbranche erwartet werden - die Briten zu ihren üblichen Waffen der Hinterlist und Verschlagenheit greifen und Bouteflika, der inzwischen bleich geworden und „verrostet“ ist, aus seinem Amt entfernen und mit einem anderen Bouteflika kommen, der ein neues, glänzenderes Gesicht und eine eloquentere Zunge hat.

h) Das alles wird das Leid nicht mindern und die Drangsal des Lebens nicht beseitigen, solange das Regime fern von Allah (t) und Seinem Gesandten (s) ist und solange es sein Heil in den westlich-kapitalistischen Systemen sucht, der Quelle von Übel und Verdorbenheit. Das, was das Problem löst und das Dilemma beseitigt, ist, nach dem Gesetz Allahs zu regieren. Es wäre die Pflicht der Demonstranten – und die meisten von ihnen sind Muslime – den Islam und den islamischen Staat, „das Kalifat nach dem Plane des Prophetentums“, zu ihrem Anliegen zu deklarieren. Darin liegt die ehrbare Macht im Diesseits wie im Jenseits und ein würdevolles Leben wird den Menschen beschert. Das Gute und die Gerechtigkeit werden sich in allen Winkeln der Erde verbreiten, sodass es kein Leid und keine Drangsal mehr geben wird, sondern machtvolle Würde im Diesseits und der große Erfolg im Jenseits.

﴿فَمَنِ اتَّبَعَ هُدَايَ فَلَا يَضِلُّ وَلَا يَشْقَى * وَمَنْ أَعْرَضَ عَنْ ذِكْرِي فَإِنَّ لَهُ مَعِيشَةً ضَنْكا

„Und wer Meiner Rechtleitung folgt, der wird nicht in die Irre gehen noch wird er Unglück erleiden. Dem jedoch, der sich von Meiner Ermahnung abkehrt, wird ein Leben in Drangsal beschieden sein.“ (20:123-124)

14. Raǧab 1440 n. H.
21.03.2019 n. Chr.
Nach oben

Seitenkategorie

Links

Die westlichen Länder

Muslimische Länder

Muslimische Länder