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بسم الله الرحمن الرحيم
Im Namen Allahs des Allerbarmers des Barmherzigen
Antwort auf eine Frage
Der „Tiefe Staat“
Frage:
Der Ausdruck „Tiefer Staat“ ist unter Politikern und in den Medien weit verbreitet. Bei näherer Betrachtung solcher Aussagen zeigt sich jedoch, dass die Bedeutungen voneinander abweichen. Könntest du daher die plausibelste Bedeutung dieses Ausdrucks näher erläutern, damit wir die politischen Ereignisse, die mit diesem Begriff in Zusammenhang stehen, besser verstehen können und auch einige Beispiele zur Verdeutlichung anführen? Ich bitte um Entschuldigung, falls meine Anfrage dich von wichtigeren Aufgaben abhält. Ich danke dir.
Antwort:
In der Tat gibt es Unterschiede in dem, was über den Begriff „Tiefer Staat“ öffentlich kursiert. Manche verstehen darunter einflussreiche Schichten, die nicht selbst an der Macht sind, aber im Verborgenen gegen das bestehende System arbeiten – wie es früher in der Türkei der Fall war. Andere sehen darin die eigentliche Macht im Staat, die das Land regiert, wann immer sie will. Wenn ein Problem auftritt, das sie anderen umhängen möchte, tritt sie scheinbar zurück und lässt eine andere Gruppe die Verantwortung tragen, nur um später wieder selbst die Macht zu übernehmen – wie es in Großbritannien geschieht. Wieder andere sehen darin einen Machtkampf zwischen aktiven politischen Parteien, wie es derzeit unter Trump in den USA beobachtet werden kann. Einige benutzen den Begriff als Ausrede, um Schwächen und Versagen ihrer Regierung zu rechtfertigen, indem sie diese dem sogenannten „tiefen Staat“ zuschreiben. Manche spielen bewusst mit diesem Ausdruck, wenn die Öffentlichkeit abgelenkt werden soll, indem sie ihn direkt oder mit anderen Begriffen erwähnen. Und es gibt jene, die die Kolonialstaaten als den „tiefen Staat“ in deren ehemaligen Kolonialgebieten betrachten. Damit sich nun die wahrscheinliche Bedeutung des Ausdrucks herauskristallisiert, wollen wir folgende Punkte darlegen:
Erster Punkt: Einige Definitionen des Ausdrucks „Tiefer Staat“
1) Das Webster‘s Dictionary, eines der ältesten Wörterbücher der Welt, beschreibt den „Tiefen Staat“ wie folgt:
Ein angeblich geheimes Netzwerk von dezidiert nicht gewählten Regierungsbeamten und manchmal auch privaten Akteuren, das außerhalb des Gesetzes arbeitet, um die Regierungspolitik und deren Umsetzung zu beeinflussen. Das bedeutet, dass unterhalb der bestehenden Systeme und der Verfassung eine tiefere Macht existiert, die das Volk kontrolliert. Diese Macht verfolgt ihre eigene Agenda und kann die Entscheidungen der gewählten Regierung untergraben.
2) Bei Wikipedia heißt es:
Der Tiefe Staat in der Türkei (türkisch: derin devlet) ist ein Netzwerk einflussreicher, demokratiefeindlicher Allianzen innerhalb der politischen Struktur der Türkei. Es besteht aus hochrangigen Mitgliedern der in- und ausländischen Geheimdienste, des türkischen Militärs, der Sicherheitsbehörden, der Justiz und der Mafia. Historisch gesehen wurden Gewalt und andere Druckmittel weitgehend im Verborgenen eingesetzt, um politische und wirtschaftliche Eliten zu manipulieren und bestimmte Interessen innerhalb des „scheinbar demokratischen“ Rahmens der politischen Landschaft durchzusetzen.
3) Bei näherer Betrachtung dessen, was mit dem Begriff „Tiefer Staat“ gemeint ist, zeigt sich, dass es sich dabei um eine verborgene Macht innerhalb oder außerhalb des Staatsapparats handelt, die das politische System kontrolliert – also ihre eigenen Politiken, Meinungen und Ausrichtungen den rechtmäßig gewählten Politikern aufzwingt. Diese verborgene Macht besteht aus einem organisierten Netzwerk von Personen, das in sensible Machtzentren eindringt – wie das Militär, die Sicherheitsapparate und die politischen Institutionen – und unabhängig von der gewählten Regierung agiert. Oft werden auch verschiedene Begriffe verwendet, um auf dieses Netzwerk hinzuweisen, z. B.: „Tiefer Staat“, „Parallelstaat“, „Schattenstaat“ oder „der Staat im Staate“.
4) Es gibt auch eine abweichende Definition, die von einem gescheiterten Politiker – sei es in der Regierung oder bei Wahlen – verwendet wird. Er nutzt den Begriff als Ausrede, um sein eigenes Versagen in der Regierungsführung oder im Wahlkampf zu rechtfertigen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein irreführendes Konzept, das dazu dient, die Verantwortung der Herrschenden zu verschleiern – insbesondere im Falle von Korruption, Ungerechtigkeit oder Verrat im Land. Der Begriff „Tiefer Staat“ wird in diesem Zusammenhang als Täuschungsmanöver benutzt, um unsichtbaren Akteuren die Schuld zuzuschieben, und lenkt so die öffentliche Aufmerksamkeit davon ab, dass der eigentliche Verantwortliche der Herrscher selbst ist, der abgesetzt werden müsste.
5) Eine weitere Auffassung besagt, dass die ehemaligen Kolonialmächte den „Tiefen Staat“ in ihren ehemaligen Kolonien darstellen. Sie kontrollieren die politischen Systeme dieser Länder, indem sie bestimmte Herrscher im Amt halten und andere entfernen.
Zweiter Punkt: Die wahrscheinlich treffendste Definition
1. Bei näherer Betrachtung und sorgfältiger Analyse der verschiedenen Definitionen ergibt sich, dass die plausibelste Deutung des Begriffs „Tiefer Staat“ darin besteht, dass es sich um eine einflussreiche Macht in einem bestimmten Land handelt – sei es in Form politischer oder wirtschaftlicher Kräfte oder mächtiger aristokratischer Familien –, die entweder im Inland oder auch im Ausland verwurzelt sein kann. Diese Macht ist nicht offiziell Teil der staatlichen Institutionen, übt jedoch im Verborgenen oder im Geheimen Einfluss auf den Staat aus. Sie entfaltet ihren Druck gezielt auf die offiziellen Staatsorgane, um deren Entscheidungen in ihrem Sinne zu lenken oder sie sogar auszutauschen.
2. Was das Täuschen der Bevölkerung durch den Herrscher betrifft, um den Vorwurf der Korruption von sich zu weisen und ihn einer anderen Instanz zuzuschieben, die er als „Tiefen Staat“ betitelt – also eine Ausrede, an die er seine Fehlhandlungen und seine Korruption hängt – so ist es nicht korrekt, eine solche Täuschung als „Tiefen Staat“ zu bezeichnen. Denn es handelt sich um ein Täuschungsmanöver, das vom Herrscher selbst inszeniert wurde, nicht von anderen Kräften, die gegen ihn arbeiten.
3. Was die Vorstellung betrifft, dass es die Kolonialmächte sind, die den „Tiefen Staat“ darstellen, so ist auch dies unzutreffend. Denn die Kolonialmächte sind diejenigen, die ihre (ehemaligen) Kolonien kontrollieren. Es sind also an sich ausländische Akteure und nicht inländische Kräfte, die im Geheimen gegen die gewählte Regierung arbeiten, die ebenfalls aus den Reihen der einheimischen Bevölkerung stammt.
Dritter Punkt: Beispiele des „Tiefen Staates“ in einigen Ländern, um das Thema besser zu veranschaulichen:
1) Die Türkei
a) Der Ursprung des Ausdrucks „Tiefer Staat“ stammt aus der Türkei. Gegen Ende des Osmanischen Staates führten Offiziere aus dem Kreis der „Jungtürken“, die von westlichen Ideen beeinflusst waren, 1909 einen Putsch durch. Sie stürzten den Kalifen Abdulhamid II. und setzten stattdessen seinen Bruder, Mohammed Rashad, als Kalifen ein, jedoch mit geringeren Befugnissen als den ihrigen.
- Dies markierte den Beginn des Auftretens einer Klasse, die mächtiger war als der Kalif selbst und die ganz offensichtlich und nicht im Verborgenen seinen Verbleib oder Sturz beeinflussen konnte. Dennoch schafften sie das Kalifat und die islamische Herrschaft nicht ab. In Wahrheit handelte es sich bei ihnen also nicht um einen Staat im Staate im Sinne eines verborgenen „tiefen Staates“. Vielmehr waren sie innerhalb des Staates offen präsent, übten jedoch Kontrolle über die Herrschaft aus.
b) Nach dem Ersten Weltkrieg konnte Mustafa Kemal, der pro-britisch war, die Macht übernehmen. Er schaffte es, das Kalifat zu stürzen und die Scharia und deren Gesetze abzuschaffen. Er rief die Republik aus und gründete sie auf säkularen Prinzipien. Dabei führte er Umwälzungen gegen die islamische Herrschaft durch, ja selbst gegen sichtbare Ausdrucksformen des Islams. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Umwälzung des Alphabets“, bei dem das türkische Schriftsystem von arabischen auf lateinische Buchstaben umgestellt wurde. Ein weiteres Beispiel ist die „Umwälzung der Kleidervorschrift“, bei der die islamische Kleidung durch westliche Kleidung ersetzt wurde – und vieles mehr. Auf diese Weise baute er das Militär und die Sicherheitskräfte nach bestimmten Maßstäben auf, um Republik und Säkularismus zu schützen und die Rückkehr des Islam an die Macht sowie die Wiedererrichtung des Kalifats zu verhindern. Das Militär wurde damit zu einer dem Regime übergeordneten Macht, die interveniert, sobald sie eine Abweichung vom Kemalismus wahrnimmt, und die zugleich die Verbundenheit mit Großbritannien aufrechthält. So waren es die despotische Herrschaft Kemals und die britische Unterstützung, die die Herausbildung eines gegen die Regierung agierenden „Tiefen Staates“ verhinderten.
c) Als Erdogan kraft guter Wahlergebnisse und mit politischer, finanzieller und wirtschaftlicher Unterstützung der USA in der Türkei an die Macht kam, war ihm die Stärke der Generäle – Hüter des Laizismus und loyal gegenüber Großbritannien – sehr wohl bewusst. Ihm war klar, dass sie das Rückgrat des Staates bildeten und ihn stürzen konnten, wenn sie wollten. Deshalb stellte er die Werte der „Demokratie“ und „Freiheit“ besonders in den Vordergrund und versuchte, sie durch die Kraft der Volkslegitimität in Schach zu halten, um einen Putsch zu verhindern. Gleichzeitig weckten die USA durch ihre Finanz- und Wirtschaftsadern den Appetit der Türken mit verführerischen Angeboten. Erdogan fürchtete das Militär und sah sich nicht in der Lage, die Generäle abzusetzen, da sie zu zahlreich waren und eine langjährige zentrale Machtstellung im Militär innehatten. Doch schon bald schuf er eine neue Realität im türkischen Leben, geprägt vom Leitmotiv „Demokratie“ und wirtschaftlichem Erfolg. Das stellte eine Barriere für einen Umsturz dar.
- In dieser Zeit traf die Beschreibung durchaus zu, dass in der Türkei ein „tiefer Staat“ existierte, der aus dem Inneren der Staatsorgane – insbesondere des Militärs – im Verborgenen wirkte, den Kurs des gewählten Premierministers Erdogan behinderte, Widerstand leistete und versuchte, seine Politik scheitern zu lassen. Diese stellte ein Netzwerk dar, dessen Strukturen für oberflächliche Beobachter unsichtbar blieben – für jene, die glaubten, alles verlaufe ideal und alle hielten sich an Verfassung und Gesetz.Dieses türkische Netzwerk hatte sich nicht nur im Militärapparat, in der Justiz und in den Ministerien eingenistet, sondern war auch mit den säkularen Oppositionsparteien verbunden, die sich außerhalb des Staates befanden, und pflegte überdies den Kontakt zum Zentrum in London. Die Männer dieses Netzwerks trafen sich im Geheimen, berieten sich und tauschten sich über die Regierungsführung Erdogans aus, bis sie den Entschluss fassten, 2016 einen Putsch durchzuführen. Dieser scheiterte jedoch. Erdogan nutzte diese Gelegenheit, um die tief verankerten Kräfte aus dem Militär zu entfernen und ihre Anhänger aus der Justiz und den Ministerien zu vertreiben, sodass die Säuberungsaktion schließlich auch die Universitätsprofessoren erreichte. Auf diese Weise gelang es Erdogan, den im türkischen Militär verflochtenen, britisch-loyalen Schattenstaat herauszureißen und weitgehend zu beseitigen. Doch es blieben noch Gefolgsmänner übrig, wenn auch schwächer als zuvor, die weiterhin den „Tiefen Staat“ gegen das bestehende Regime wiederherzustellen versuchen.
2. Die USA
a) Die Regierungsgewalt in den USA ist auf zwei tatsächliche Ebenen verteilt. Die erste Ebene erscheint als Ausdruck der Volkssouveränität und wirkt darauf hin, den Willen des Volkes zu verwirklichen, das diesen Präsidenten und jene Abgeordneten gewählt hat. So erscheint der Staat in einem demokratischen Gewand. Doch diese legitime Ebene kann die Politik des Landes nur im Einklang mit dem Willen der zweiten Ebene führen – einer verborgenen, nicht sichtbaren und nicht gewählten Ebene, also illegitim im Sinne des „demokratischen“ Systems. Das ist es, was man als „Tiefer Staat“ bezeichnet. Die Mitglieder dieser Ebene – also die Vertreter des tiefen Staates – sind Personen, die sensible Positionen innerhalb der Staatsapparate innehaben. Die Institutionen, die sie kontrollieren, lassen sich nur durch sie in die Richtung lenken, die von der ersten Ebene vorgegeben wird. Weil ihre Positionen sensibel sind, handelt es sich bei diesen Personen in den USA entweder um große Kapitalbesitzer oder um deren Vertreter. Die Großkapitalisten in den USA legen großen Wert darauf, dass die hochrangigen Beamten in den Staatsapparaten ihre Interessen vertreten. Sie sorgen für eine ständige Verbindung zu diesen Angestellten, um ihre Geschäfte zu lenken. So achten beispielsweise Finanzunternehmen darauf, Verbündete in den Steuerbehörden zu haben; Rüstungsfirmen bemühen sich darum, Einfluss im Pentagon und in den Beschaffungsabteilungen des Außenministeriums zu gewinnen; Pharmaunternehmen wiederum streben danach, Einfluss in den Gesundheitsbehörden und in den staatlichen Versicherungseinrichtungen zu haben. Auf diese Weise – und im Laufe einer langen Zeit – ist es den großen Konzernen gelungen, die tatsächliche Kontrolle über den Staat in den USA zu übernehmen – durch diese Mitarbeiter in Schlüsselpositionen und durch Lobbygruppen
b) Dies ist die wahre Natur des politischen Systems in den USA. Demnach sind es die Großkapitalisten und die Großkonzerne, die den Ursprung und den lebendigen Kern des „tiefen Staates“ in Amerika bilden. Sie stellen die verborgene Macht dar, die hinter den politischen Ausrichtungen des Staates steht. Sie lenken die Beamten in den sensiblen Positionen dazu, sich gegen staatliche Richtungen zu stellen, wenn diese den Interessen der Konzerne widersprechen. In dieser Rolle befinden sie sich gleichzeitig außerhalb und innerhalb des Staatsapparates – aktiv im Finanz-, Geschäfts- und Industriesektor –, doch ihre Bewegungen zeigen sich innerhalb der staatlichen Institutionen der USA.
c) Als Donald Trump im Jahr 2016 Präsident wurde, stieß er auf Widerstand von hohen Beamten des Staates und verschiedenen Behörden, insbesondere den Sicherheitsdiensten. Er spürte ihren Widerwillen gegenüber seiner Politik und ihre Ablehnung, die sich schließlich zu starkem Widerstand aus dem Inneren des amerikanischen Staates entwickelte – fast ein Akt des Ungehorsams. Zahlreiche belastende Informationen wurden aus Sicherheits- und Nachrichtendiensten an die Öffentlichkeit geleakt. Zudem wurden viele Klagen gegen ihn erhoben, die bekannteste war der Vorwurf, Russland habe ihn bei den Wahlen unterstützt. Es folgten Ermittlungen und Amtsenthebungsverfahren im Kongress, und das US-Justizministerium wurde zu einem seiner offensten Gegner. Der Widerstand kam jedoch nicht nur aus dem Staatsapparat. Auch Pharmaunternehmen, die Impfstoffe gegen Corona entwickelt hatten, hielten ihre Entdeckungen bis nach dem Wahlsieg Bidens Ende 2020 zurück – offenbar, um Trump keinen politischen Vorteil im Wahlkampf zu verschaffen. Angesichts seiner Erfahrungen mit dieser organisierten, verborgenen Macht, die gegen ihn arbeitete, stellte Trump das Wahlergebnis in Frage, erkannte es nicht an und erklärte, der Sieg sei ihm gestohlen worden. Auch die staatliche Wahlkommission zählte er fortan zu seinen Gegnern. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt sagte Trump 2023 vor Anhängern in Texas: „Entweder zerstört der tiefe Staat Amerika, oder wir zerstören den tiefen Staat.“ Betrachtet man die amerikanische Realität während Trumps erster Amtszeit und die Beschreibung einer verborgenen Macht, die den gewählten Präsidenten an Veränderungen hindert, wird deutlich, dass dies eine zutreffende Beschreibung der tatsächlichen Machtverhältnisse im amerikanischen Regierungssystem ist.
d) Am 21. März 2023 verkündete Donald Trump in einem Video einen Zehn-Punkte-Plan. In dem Video sagte er: „Auf diese Weise werde ich den tiefen Staat zerschlagen und die Regierung wieder unter die Kontrolle des Volkes bringen - für das Volk.“ (Daily Mail, 21.03.2023).
Das ist die wahre Natur des politischen Systems in den USA. Die einflussreichen Kapitalisten und Großunternehmen bilden den Ursprung und das lebendige Fundament des tiefen Staates in Amerika. Sie sind die verborgene, treibende Kraft hinter den politischen Ausrichtungen des Staates. Sie beeinflussen gezielt die Beamten in Schlüsselpositionen, um Regierungspläne zu untergraben, wenn diese den Interessen der Konzerne zuwiderlaufen. In dieser Rolle agiert der tiefe Staat sowohl außerhalb als auch innerhalb des staatlichen Apparats – insbesondere im Finanz-, Wirtschafts- und Industriesektor. Doch sichtbar wird seine Bewegung vor allem innerhalb der staatlichen Institutionen der USA.
3. Großbritannien
Auch in Großbritannien existiert ein tiefer Staat. Das Herrschaftssystem wird dort im Wesentlichen von den Konservativen verkörpert – den aristokratischen Familien und Großvermögenden des Landes. Sie sind die wahren Machthaber Großbritanniens. Doch führen ihre öffentlichen politischen Ausrichtungen den Staat mitunter in Krisen, das heißt, sie schaden manchmal den Staatsinteressen. In solchen Fällen zieht sich die konservative Partei zurück, und die Labour-Partei übernimmt die Regierung. Ihre Aufgabe besteht dann darin, die Krisen zu bewältigen und weiteren Schaden vom Staat abzuwenden. Danach tritt sie wieder ab. Was wir zuletzt an einer vernichtenden Niederlage der Konservativen und einem überwältigenden Sieg der Labour-Partei gesehen haben, ist in Wirklichkeit das Werk der Konservativen selbst. Denn Großbritannien befindet sich nach dem Brexit in einer schweren Wirtschaftskrise. Der Austritt aus der EU war letztlich das Ergebnis einer Fehlkalkulation beim britischen Referendum über Europa. Und da die Konservativen diese Krise selbst herbeigeführt haben, ist es nun die Aufgabe der Labour-Partei, sie zu bewältigen.
Der „Tiefe Staat“ in Großbritannien besteht also aus den alteingesessenen Familien und den Reichen – sie sind die permanenten Herrscher des Landes. Wenn sie sich zeitweise zurückziehen und der Labour Party die Regierungsführung überlassen, dann nur, um eine Krise zu bewältigen, die zuvor von den Konservativen verursacht wurde. Die Kontrolle des tiefen Staates über die politische Macht in Großbritannien vollzieht sich dabei leicht und reibungslos: Die aristokratischen Familien und Geldeliten sind das Fundament und die Hüter der Herrschaft – unabhängig davon, ob sie direkt regieren oder eine andere Partei gewissermaßen „anmieten“, um die Regentschaft für sie zu übernehmen. Und damit diese Kontrolle dauerhaft und problemlos bestehen bleibt, verbreitet das wirkliche Machtzentrum Großbritanniens – das lebendige Fundament der Herrschaft – Werte, die Veränderung ablehnen. Stattdessen wird Tradition verherrlicht und das Alte hochgehalten. Dies zeigt sich deutlich in der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, die der königlichen Familie entgegengebracht wird: ihrem Leben, ihren Geschichten, Geburtstagen und dem gesamten höfischen Alltag.
Fazit:
- Der „Tiefe Staat“ ist eine einflussreiche Macht innerhalb des bestehenden Herrschaftssystems. Es handelt sich um ein Netzwerk einheimischer Akteure – im In- oder Ausland –, das im Verborgenen oder verdeckt gegen die herrschende politische Klasse arbeitet, mit dem Ziel, diese zu verändern oder zu schwächen.
- Wenn dieses Netzwerk jedoch nicht aus Angehörigen des jeweiligen Landes besteht, sondern von einer ausländischen Macht gebildet wird – etwa einer Kolonialmacht oder einem feindlichen Staat, der gegen das Land agiert –, dann handelt es sich nicht um einen „tiefen Staat“, sondern vielmehr um einen Fall von Kolonialismus, Krieg oder feindlicher Einmischung.
- Ebenso gilt: Wenn das Netzwerk von der herrschenden Klasse selbst inszeniert wurde – also wenn es ihr lediglich zugeschrieben wird, um den Herrscher von Vorwürfen reinzuwaschen und die Schuld auf ein fiktives, von ihm selbst erschaffenes Konstrukt zu lenken, um das Volk über seine Korruption und sein Versagen hinwegzutäuschen –, dann handelt es sich ebenfalls nicht um einen tiefen Staat.
- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich beim „tiefen Staat“ um ein Netzwerk aus Personen der eigenen Bevölkerung im Inland oder Ausland handelt, das gegen das bestehende System im jeweiligen Staat arbeitet, um es zu verändern oder zu schwächen. In diesem Sinne existiert ein solcher „tiefer Staat“‘ nur in Ländern, die auf menschengemachten, positivistischen Gesetzen beruhen. Dort können Netzwerke im Inland oder Ausland existieren, die unterschiedliche Vorstellungen vom gewünschten Regierungssystem haben, was zu Konflikten über die Art des weltlichen Systems führt.
- Wenn die Herrschaft jedoch auf einer von Allah offenbarten Gesetzgebung basiert, dann gibt es unter Muslimen, ob im In- oder Ausland, keinen „tiefen Staat“, der versuchen würde, die islamische Ordnung durch eine andere zu ersetzen. Sollte es dennoch Versuche in diese Richtung geben, dann wären diese nur das Ergebnis ausländischer, kolonialer oder feindlicher Einflussnahme – und fielen somit, wie bereits erwähnt, nicht unter den Begriff des „tiefen Staates“.
Daher gilt: Was man an Veränderungen oder Umstürzen in einigen muslimischen Ländern wie Pakistan, Bangladesch oder Ägypten beobachten kann oder konnte, lässt sich nicht dem Konzept des „tiefen Staates“ zurechnen. Denn hinter diesen Ereignissen steht in Wirklichkeit der koloniale Einfluss der ausländischen Mächte, die ihre abhängigen Regime lenken.
Wenn es jedoch in einem muslimischen Land, das nach menschengemachtem Recht regiert wird, eine Bewegung gibt, die darauf hinarbeitet, diese weltliche Herrschaft durch die islamische Ordnung – das rechtgeleitete Kalifat – zu ersetzen, dann wird eine solche Bewegung nicht als „tiefer Staat“ bezeichnet, sondern als Unterstützer Allahs, des Erhabenen, und Seines Gesandten (s).
Wir bitten Allah, den Erhabenen, um Beistand und Erfolg bei der Wiedererrichtung des rechtgeleiteten Kalifats, damit der Islam und die Muslime wieder zu Ehren gelangen und der Unglaube sowie die Ungläubigen erniedrigt werden:
(وَعَدَ اللهُ الَّذِينَ آمَنُوا مِنْكُمْ وَعَمِلُوا الصَّالِحَاتِ لَيَسْتَخْلِفَنَّهُمْ فِي الْأَرْضِ كَمَا اسْتَخْلَفَ الَّذِينَ مِنْ قَبْلِهِمْ)
Verheißen hat Allah denen von euch, die glauben und gute Werke tun, dass Er sie gewiss zu Nachfolgern auf Erden machen wird, wie Er jene, die vor ihnen waren, zu Nachfolgern machte. (24:55)