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Niederlande

H.  24 Sha'aban 1429 No: 023
M.  Montag, 25 August 2008

 

Offener Brief an Dr. Antonio Alonso bezüglich des Wesens von   Hizb-ut-Tahrir und ihres Appells   (ausführliche inhaltliche Wiedergabe)

Sehr geehrter Herr Dr. Antonio Alonso!

Ihre in der Zeitschrift „Athena Intelligence Journal" [1] veröffentlichte Untersuchung mit dem Titel „Eine Analyse des Appells von Hizb-ut-Tahrir" habe ich gelesen und für wertvoll befunden. Zweifelsohne handelt es sich um einen ernsthaften Versuch, das reale Wesen von Hizb-ut-Tahrir von ihren Quellen ausgehend darzulegen. Trotzdem beinhaltet die Untersuchung eine Anzahl von Punkten, die einer Revision und einer genaueren Durchleuchtung bedürfen. In diesem Brief werde ich mich auf zwei Punkte konzentrieren: auf das Wesen von Hizb-ut-Tahrir und ihren Appell.

Was das Wesen betrifft, so sind Sie zum Schluss gekommen, dass es sich bei der Partei um eine „revolutionäre soziale Bewegung" und um keine politische Partei handelt. Sie führen aus: Obwohl Hizb-ut-Tahrir darauf besteht, sich als politische Partei zu bezeichnen, kann man sie trotzdem als soziale Bewegung auffassen." Auch sagen Sie: „Wir können festhalten, dass es sich bei Hizb-ut-Tahrir um eine revolutionäre soziale Bewegung handelt." [2]

Was Hizb-ut-Tahrirs Appell anlangt, so haben Sie zwar erklärt, dass die Partei keine terroristische Organisation sei und sich der Gewalt auch nicht bediene, gleichzeitig aber festgehalten, dass der Appell der Partei Gewalt unterstütze. Sie kamen zum Schluss, dass man Hizb-ut-Tahrir zwar als Organisation im „legitimen Rahmen" betrachten könne, sie würde aber Personen aus anderen Organisationen zu terroristischen Handlungen anstiften, weil sie die intellektuelle Unterstützung und Rechtfertigung für solche Handlungen liefere. [3]

Auf Ihre Schlussfolgerungen werde ich nun im Folgenden eingehen:

 

Handelt es sich bei Hizb-ut-Tahrir um eine revolutionäre soziale Bewegung oder um eine politische Partei?

Die soziale Bewegung wurde unterschiedlich definiert. Zu ihren Definitionen zählen die folgenden:

Nach Macionis ist sie: „Eine organisierte Aktivität, die Veränderung anstrebt oder sie ablehnt." [4]

Gusfield hingegen definiert sie folgendermaßen: „Gemeinsame soziale Aktivitäten und Überzeugungen mit denen die Veränderung einiger Aspekte der allgemeinen Ordnung angestrebt wird." [5]

Gemäß Ihrer von Giddens übernommenen Definition ist eine soziale Bewegung: „Das kollektive Streben zur Erlangung eines allgemeinen Interesses oder zur Durchsetzung einer allgemeinen Zielsetzung mittels einer kollektiven Tätigkeit, die außerhalb der bestehenden Institutionen stattfindet." [6]

Demzufolge ist Hizb-ut-Tahrir Ihrer Meinung nach und gemäß dieser Definition eine soziale Bewegung, d. h. eine Gruppe, die eine organisierte Aktivität zur Veränderung unternimmt. Und da die Partei eine umfassende, fundamentale Veränderung anstrebt, handelt es sich bei ihr um eine soziale, revolutionäre Bewegung. Nach Macionis sind die „sozialen, revolutionären Bewegungen von allen Bewegungen am extremistischsten, weil sie die fundamentale Veränderung der gesamten Gesellschaft anstreben." [7]

Auch die politische Partei wurde auf verschiedene Weise definiert:

Robert Huckshorn fand für sie folgende Definition: „Eine unabhängige Gruppe von Personen, die danach strebt, Kandidaten aufzustellen und Wahlen zu gewinnen, um die Regierungsmacht zu erlangen, indem sie allgemeine Institutionen und Regierungsbehörden unter ihre Kontrolle bringt. [8]

Die „amerikanische Enzyklopädie" definiert die politische Partei hingegen folgendermaßen: „Spezifische soziale Bewegungen, deren Hauptziel es ist, ihre gewählten Mitglieder in die Regierungsinstitutionen zu bringen." [9]

Nach Ihrer Definition handelt es sich bei einer politischen Partei „lediglich um eine der Ausdrucksformen für die kollektive Aktivität der politischen Akteure." Der wesentliche Unterschied zwischen einer politischen Partei und irgendeiner kollektiven Bewegung, die politisch tätig ist, liegt Ihrer Meinung nach in der Fähigkeit, Kandidaten für Wahlen aufzustellen und als Bürgervertreter Regierungssitze zu erlangen. [10]

Diese Begriffe sollen nun diskutiert werden:

•1. Die Unklarheit des Begriffs der „sozialen Bewegung"

Der Begriff der „sozialen Bewegung" zählt in der Sozialwissenschaft zu den schwer definierbaren. So fallen die diesbezüglichen Definitionen unterschiedlich aus, auch werden Grenzen und Kriterien des Begriffs unterschiedlich gesetzt. So befindet John Wilson in diesem Zusammenhang, dass der Begriff sich in seiner Bedeutung ausgeweitet hat und nun auch Jugendgruppen, religiöse, politische und andere Gruppen umfasst. [11] Paul Byrne meint dazu: „In den letzten dreißig Jahren ist dieser Begriff in willkürlicher Weise verwendet worden, sodass er auf alles angewendet wurde." [12] Egal wie sehr man also behauptet, eine präzise Definition für den Begriff „soziale Bewegung", die auf eine bestimmten Block zutrifft, gefunden zu haben, man wird stets jemanden finden, der diese Sicht ablehnt und sie zu widerlegen versucht.

So haben Sie z.B. Hizb-ut-Tahrir als „revolutionäre soziale Bewegung" bezeichnet. Bei dieser Beschreibung haben Sie folgende drei Faktoren hervorgehoben: das Streben nach Veränderung, die Tätigkeit außerhalb der staatlichen Ordnung und der Wille zur umfassenden Umwälzung. Diesem letzten Faktor haben sie aber keine Beachtung geschenkt. Handelt es sich nun um eine politische oder um eine kulturelle Umwälzung, die die Partei anstrebt?

Der Begriff der „sozialen Bewegung" ist allgemeiner Natur, der einer genaueren Spezifizierung bedarf, indem man den Gegenstand und die Zielsetzung der Bewegung untersucht. So haben die Sozialwissenschaftler die Bewegungen nach dem Gegenstand ihres Zusammenschlusses sowie nach ihrem Interessens- und Tätigkeitsbereich in „sozio-kulturelle" - zu denen religiöse Gemeinschaften und gesellschaftliche Gruppen zählen - und „sozio-politische" Gruppierungen eingeteilt. Nach Hans Haferkamp und Neil J. Smelser liegt der Unterschied zwischen beiden darin, dass die sozio-kulturellen Bewegungen nicht danach trachten, ihre Überzeugungen und Gesetzmäßigkeiten der gesamten politischen Struktur in einem Lande aufzusetzen. Trachten sie danach, so handelt es sich um sozio-politische Bewegungen, wie die heutigen islamischen Bewegungen. [13] Es ist bekannt, dass Hizb-ut-Tahrir die Errichtung eines Staates und die Implementierung der von ihr adoptierten Gesetze in der Gesellschaft anstrebt. Somit wäre es präziser gewesen, wenn Sie Hizb-ut-Tahrir als sozio-politische, statt als soziale Bewegung bezeichnet hätten.

•2. Der Unterschied zwischen einer „sozialen Bewegung" und einer „Partei"

Bei Ihrer Definition der sozialen Bewegung fällt auf, dass Sie die Tätigkeit außerhalb des staatlichen Systems als Faktor hervorheben. Gemäß Ihrer Definition handelt es sich bei einer sozialen Bewegung um „das gemeinschaftliche Streben zur Erlangung eines allgemeinen Interesses oder zur Durchsetzung einer allgemeinen Zielsetzung mittels einer kollektiven Tätigkeit, die außerhalb der bestehenden Institutionen stattfindet." Hingegen heben Sie bei Ihrer Definition der politischen Partei die Tätigkeit innerhalb des staatlichen Systems hervor. Deswegen erachten Sie Hizb-ut-Tahrir nicht als politische Partei, weil sie sich nicht am politischen System beteiligt - bis auf den Libanon, wie Sie erwähnen. [14]

Demzufolge liegt Ihrer Meinung nach der wesentliche Unterschied zwischen einer politischen Partei und einer sozialen Bewegung in deren Beziehung zum existierenden politischen System. Ist die Organisation außerhalb des Systems tätig, handelt es sich bei ihr um eine soziale Bewegung. Ist sie innerhalb des Systems aktiv, wird sie als politische Partei bezeichnet. Die anderen von Ihnen erwähnten, für soziale Bewegungen spezifische Faktoren, wie Organisation, institutionelle Struktur, innere Festigkeit und Ähnliches [15], stellten nach Ihrem Dafürhalten keine wesentlichen Unterschiede dar. Dies wollen wir nun von zweierlei Aspekten her erörtern:

Erstens: Soziale Bewegungen haben Eigenheiten, die sie von politischen Parteien unterscheiden. Diese Eigenheiten müssen in einem Zusammenschluss vorhanden sein, um ihn als soziale Bewegung bezeichnen zu können. Fehlen diese Eigenheiten, ist es falsch, den Zusammenschluss als soziale Bewegung zu bezeichnen. So zeichnet sich beispielsweise die politische Partei gegenüber der sozialen Bewegung durch eine präzise Organisationsstruktur aus. Paul Byrne ging sogar so weit zu behaupten, dass das Fehlen einer Organisationsstruktur zu den Eigenheiten sozialer Bewegungen zähle und es schwierig sei, eine soziale Bewegung anhand von Kriterien wie Organisation, Strategie und Ideologie auszumachen. Die Schwierigkeit beim Festlegen des Profils sozialer Bewegungen führt Byrne auf ihren im Gegensatz zu Parteien nebulösen Charakter zurück. [16]

Dies wirft die Frage auf, wie präzise eigentlich die Kriterien sind, die Sie zur Festlegung des Wesens sozialer Bewegungen herangezogen haben und wie weit diese Kriterien auf Hizb-ut-Tahrir zutreffen, der allseits nicht nur eine organisierte Struktur, sondern ein sehr hoher Organisationsgrad bescheinigt wird. [17] Auch zeichnet sich eine politische Partei gegenüber einer sozialen Bewegung dadurch aus, dass sie danach strebt, ihre Ideologie und Ansichten durch das Erlangen der Regierungsmacht in der Gesellschaft umzusetzen. Die soziale Bewegung ist zwar bestrebt, die Menschen von der Richtigkeit ihrer Werte zu überzeugen, jedoch versucht sie dies nicht durch das Erlangen der Regierungsmacht. [18] Was Hizb-ut-Tahrir betrifft, so strebt die Partei heute danach, die Regierungsmacht zu übernehmen, um ihre Ideologie in der Gesellschaft, im Staat und in den verschiedenen Lebensbereichen umzusetzen. Demzufolge kann es sich bei Hizb-ut-Tahrir nicht um eine soziale Bewegung handeln.

Zweitens: Bei Ihrer Unterscheidung zwischen einer politischen Partei und irgendeiner kollektiven Bewegung, die politisch tätig ist, haben Sie die Fähigkeit zur Kandidatur bei Wahlen und zur Erlangung von Regierungssitzen als Bedingung aufgestellt. Diesen Aspekt erklärten Sie sogar zum wesentlichen Unterschied. [19] Kann diese Bedingung aber zum wesentlichen Unterschied erhoben werden, obwohl sie denkbar unpräzise und nebulös ist? Was bedeutet denn die „Fähigkeit zur Kandidatur bei Wahlen"? Bedeutet es die bloße Fähigkeit oder auch ihre Praktizierung? Hizb-ut-Tahrir hat die Fähigkeit dazu, praktiziert sie aber nicht. Trifft nun die Bezeichnung politische Partei gemäß Ihrer Definition auf sie zu oder nicht?

Geht man von der Notwendigkeit der Praktizierung aus, so lehnt Hizb-ut-Tahrir Wahlen nicht ab und wird nach Gründung des Kalifats auch bei Wahlen kandidieren und Sitze in der islamischen Ratsversammlung anstreben, um „als Volksvertreterin zu fungieren und einen Einfluss auf die Regierungspersonen bzw. die Regierung auszuüben". Sie wird sich auch dafür einsetzen, dass „die Regierenden ihre Ideen tragen". Trifft in diesem Fall die Bezeichnung „Partei" auf sie zu, nachdem sie die „Fähigkeit" praktizieren wird oder muss sie die Fähigkeit bereits im derzeitigen Status quo praktizieren, um diese Bezeichnung zu verdienen?

Wird die derzeitige Praktizierung zur Bedingung gemacht, stellt sich die Frage, ob der heutige Status quo dies überhaupt erlaubt? Kann man heute in den islamischen Ländern von einer „Fähigkeit" zur Praktizierung überhaupt reden?

Als westlicher Denker ist Ihnen zweifelsohne bewusst, dass die Existenz politischer Parteien - im westlichen Sinne - eines demokratischen Rahmens bedarf. Nach Lipset sind politische Parteien die vitalen Faktoren in einer modernen Demokratie, ohne die sie nicht existieren kann. [20] Für Stokes und Muller sind politische Parteien von der Demokratie nicht zu trennen. [21] Was macht es dann für einen Sinn Hizb-ut-Tahrir - die ja eine andere Ideologie als die westlich-demokratische besitzt -nach solchen Kriterien zu beurteilen, wo doch die Rahmenbedingungen, die ebenfalls nach westlichen Kriterien festgelegt wurden, gar nicht vorhanden sind? Trotzdem erwähnen Sie den „Ausnahmefall Libanon". Nach diesem Fall zu beurteilen wäre Hizb-ut-Tahrir gemäß Ihrem Verständnis doch als politische Partei zu klassifizieren.

•3. Das Wesen von Hizb-ut-Tahrir

Die politischen Parteien im Westen erleben zurzeit eine rasante Entwicklung im Hinblick auf ihre Natur und ihre Rolle. Manche Denker bezeichnen diesen Prozess als dekadenten Abstieg, andere wiederum meiden diese Bezeichnung und nennen ihn Verwandlung (Transition). Wie man es auch immer nennen mag, so möchte man damit die Tatsache beschreiben, dass die politischen Parteien ihren Wert und ihre Wichtigkeit in der Gesellschaft im Vergleich zu früher eingebüßt haben. Soziologen nennen viele Gründe dafür. So führt John J. Coleman den Bedeutungsverlust der politischen Parteien in den USA auf den Umstand zurück, dass die ideologischen Gegensätze zwischen Demokraten und Republikanern verschwunden sind. [22] Kirchheimer ist der Ansicht, die Ursache dafür liege in der Tatsache, dass die Parteien ihre ideologische Prägung aufgegeben haben und dem Prinzip „Catch all" („Fang alles ein") folgen. [23] Es ist dies das Prinzip der Anpassung, der Profitorientiertheit und dem Wähler das zu sagen, was er hören möchte.

Andere versuchen die Problematik genereller zu betrachten und führen die Wandlung in der Natur politischer Parteien auf den Umstand zurück, dass sie sich eher um Wahlergebnisse als um die Gesellschaftsprobleme kümmern. [24] Mit anderen Worten haben die politischen Parteien im Westen ihre operative Natur verloren, d. h. ihr Streben, die Gesellschaft nach ihrer Ideologie und Ansicht zu formen und zu verändern. Westliche Denker, die sich der Notwendigkeit des operativen Charakters von Parteien bewusst sind, rufen nun zu einer Synthese zwischen politischen Parteien und sozialen Bewegungen auf, damit sich ihre Rollen in der Gesellschaft gegenseitig ergänzen. Manche gingen sogar so weit, den Begriff der „Bewegungspartei" (Movement Party) zu formulieren, und zwar als Verbindung zwischen der präzise organisierten Partei mit ihrer Fähigkeit zur Einflussnahme und der sozialen Bewegung mit ihrer Fähigkeit die Gesellschaft zu bewegen und kontinuierlich zu verändern. [25]

Diese Ausführungen belegen, dass „Bewegung" - d. h. die operative Aktivität in der Gesellschaft, indem man sie gemäß der eigenen Ideologie zu verändern, zu formen und schließlich zu erhalten trachtet - das Wesensmerkmal politischer Parteien ausmacht. Verlieren Parteien dieses Merkmal, werden sie zu einer charakterlosen Profitgemeinschaft, die kein anderes Ziel hat, als die Interessen einer politischen Kaste zu bedienen.

Seit ihrer Gründung war sich Hizb-ut-Tahrir dieser Tatsache bewusst. Deswegen hat sie sich als politische ideologische Partei präsentiert, die innerhalb der Umma tätig ist, um ihre Interessen wahrzunehmen und die Situation der Muslime zu verändern, indem allein durch die Ideologie ein geistiger Aufstieg in der Umma eingeleitet wird. Auf dem Prinzip der geistigen, intellektuellen Erhebung soll die neue Gesellschaft und der islamische Staat aufgebaut werden. Dabei bedient sich die Partei - abseits von irgendwelchem kurzfristigen Profitdenken - der intellektuellen Auseinandersetzung und des politischen Kampfs. Nach der Gründung des Kalifats wird die Aufgabe der Partei darin liegen, über die Gesellschaft zu wachen und jedes Abweichen von der Ideologie, jeden Abfall bereits in den Anfängen zu erkennen und gegenzusteuern. Die ideologische Flamme bleibt somit in den Geistern der Muslime entfacht und die Vitalität der islamischen Umma bleibt zum Nutzen der gesamten Menschheit erhalten.

So stellen sich die Natur und die Arbeitsweise von Hizb-ut-Tahrir dar. Hizb-ut-Tahrir verkörpert somit das Modell der idealen politischen Partei, die heute auch von vielen westlichen Denkern eingefordert wird.

 

  1. Stiftet der Appell von Hizb-ut-Tahrir zur Gewalt an?

Was die Frage von Gewalt und Terrorismus anlangt, so gliedern Sie Hizb-ut-Tahrir zwar nicht als terroristische Vereinigung ein, behaupten aber, dass die Sprache und der Appell der Partei die Rechtfertigung dazu liefert. [26] Diese Behauptung wollen wir im Folgenden nun genauer diskutieren und die Fehlerstellen aufzeigen:

  1. Ungenauigkeit im Verständnis der islamischen Denkweise

Sie führen aus: „Die Benützung der Gewalt wird aus taktischen Gründen abgelehnt, weil es momentan nicht passend ist, nicht aber aus tiefer, persönlicher Überzeugung, dass Gewalt unrechtmäßig ist oder nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf. Vielmehr wird Gewalt deshalb abgelehnt, weil es nicht der Methode des Propheten entspricht, und die Gewalt erst in späterer Zeit gegen jene Völker zum Einsatz kam, die nicht freiwillig in den Islam eintraten. Zu diesem Zeitpunkt wird dann von der Dawa zum Dschihad übergegangen." [27] Was bedeutet nun „Taktik", „persönliche Überzeugung" und „Rechtmäßigkeit"? Hat „Rechtmäßigkeit" bei einem islamischen „Fundamentalisten" die gleiche Bedeutung wie bei Ihnen? Ist die Überzeugungsquelle bei Hizb-ut-Tahrir die gleiche wie bei Ihnen?

Es wäre besser gewesen erst einmal den Handlungsmaßstab im Islam zu verstehen, bevor man darüber urteilt, ob es sich bei einem Verhalten um „vorübergehende Taktik" oder um eine zu befolgende, feststehende Methode handelt. Für Hizb-ut-Tahrir ist der Handlungsmaßstab das islamische Recht und nicht die säkulare Legislative, die die Grundlage Ihrer Handlungen bildet. Zum islamischen Recht zählt die Sunna des Gesandten Muhammads (s.). Diese hat die Partei auch als Maßstab herangezogen, um ihre Vorgehensmethode festzulegen. Demzufolge stellt das Festhalten der Partei am gewaltlosen Weg eine tiefe, persönliche Überzeugung dar, weil das islamische Recht, auf dem sie ihre Handlungen gründet, die Verwendung von Gewalt verboten hat.

Als Beweis für Ihre Behauptung haben sie die Aussage des Hizb-ut-Tahrir-Mitglieds Ya'qub Towsen, herangezogen, in der es heißt: „Wenn der Prophet sich der Gewalt bedient hätte, hätten wir sie auch benützt." [28] Diese Aussage wurde von Ihnen jedoch vollkommen falsch interpretiert. Sie kann keinesfalls als Beleg dafür herangezogen werden, dass die Gewaltlosigkeit bei Hizb-ut-Tahrir nur von vorübergehender taktischer Natur ist. Vielmehr unterstreicht sie die Überzeugung der Partei von der Richtigkeit ihres Weges und dass es sich dabei um ein göttliches Gebot handelt, das befolgt werden muss. Mit der Aussage ist gemeint, dass der Prophet, Friede sei mit ihm, für uns die Quelle der Rechtssprechung darstellt. Wenn die Gewalt durch die Handlung des Propheten islamrechtlich legitim wäre, hätten wir uns ihrer bedient. Da dies aber nicht der Fall ist, dürfen wir sie nicht verwenden. Mit dieser Aussage wollte man die Quelle der islamrechtlichen Handlungsgrundlage der Partei hervorheben und betonen, dass es sich dabei um eine tiefe, rationale Überzeugung handelt, die direkt der Handlung des Propheten entnommen ist.

Offenbar bemessen sie die Partei nach dem westlich-machiavellistischen Prinzip, dass der Zweck die Mittel heiligt und das Verhalten einer Bewegung durch den Nutzen, den der menschliche Verstand festlegt, geleitet wird. Sie haben dabei jedoch übersehen, dass Hizb-ut-Tahrir auf dem islamischen Überzeugungsfundament aufbaut, das den Nutzen dort erachtet, wo ihn das islamische Recht festgesetzt hat. Die Entschlossenheit der Partei, Gewalt nicht zu verwenden, entspringt somit der tiefen Überzeugung am islamischen Recht festhalten zu müssen und keiner taktischen Nützlichkeitsüberlegung.

  1. Äußerungen wurden aus dem Zusammenhang gerissen

Der bekannte Anthropologe Bronislaw Malinowski prägte den Satz: „Der Glaube, dass sich die Bedeutung auf das Wort beschränkt, ist ein Irrtum. Wort und Kontext sind zwei untrennbar verbundene Komponenten, die sich gegenseitig ergänzen." Wird das Wort aus dem Kontext herausgerissen, so können daraus andere Bedeutungen verstanden werden, die gar nicht gemeint waren. Auch lautet eine gängige Aussage: „Ohne Kontext kann man irgendwas über irgendwas sagen."

Als Beispiel können die „Märtyreraktionen" herangezogen werden. So erwähnen Sie, dass die Partei diese Aktionen erlaubt und ziehen das als Beweis heran, dass die Partei das Töten von Personen zur Durchsetzung politischer Ziele gutheißt und somit der Methode des Propheten widerspricht, die der Parteigründer, Scheich Nabhani, in seinen Büchern festgelegt hat. [29] Hätten Sie die Aussage aber in ihren Kontext gesetzt, würde dieser Widerspruch nicht aufkommen und sie würden feststellen, dass sich die Aussage sehr gut in das gewaltlose Prinzip der Partei einfügt.

Die Ausführungen über die Märtyreraktionen wurden nämlich im Zusammenhang mit dem Krieg getätigt, der zwischen den Muslimen und jenen entbrannt ist, die ihre Länder besetzen. Das hat aber nichts mit dem erklärten Ziel der Partei, der Errichtung des Kalifats, zu tun. Es handelt sich hierbei um zwei vollkommen unterschiedliche Angelegenheiten. Nehmen wir einmal an, dass Spanien angegriffen wird und eine ausländische Macht das Land besetzt. Was wäre in diesem Fall der Standpunkt der sozialistischen Partei Spaniens? Akzeptiert sie die Besetzung spanischen Bodens, würde sie als Verräter dastehen. Wenn sie aber zum Widerstand gegen den Besatzer aufruft, würde dann dieser Aufruf ihr Wesen als politische Partei ändern und sie zu einer militärischen oder gar terroristischen Partei machen bzw. zu einer Partei, die zur Gewalt anstiftet?

Die Ungenauigkeit Ihrer Ausführungen lässt sich nicht nur daran erkennen, dass Sie den Kontext der Aussagen von Hizb-ut-Tahrir nicht beachten, sondern auch daran, dass zwischen legitimer und illegitimer Gewaltanwendung nicht differenziert und dieser Zusammenhang bei Ihnen vollkommen ausgeblendet wird. So betrachten Sie den muslimischen Widerstand gegen die Besatzung als illegale Gewaltanwendung. Demzufolge ist für Sie jeder, der zum Widerstand aufruft, ein Anstifter zur Gewalt.

Derartige Verallgemeinerungen ziemen sich nicht für einen Denker wie Sie, denn der Widerstand gegen die Besatzungsmacht ist für jeden ein legitimes Recht und darf nicht als Gewaltanwendung in seiner negativen Bedeutung bezeichnet werden.

Alle Beispiele, die sie angeführt haben, hängen mit dem Aufruf von Hizb-ut-Tahrir zusammen der Besatzungsmacht, die unseren Boden besetzt hält, unsere Länder zerstört und unsere Geschwister ermordet hat, Widerstand zu leisten. Als seriöser Wissenschaftler hätten Sie den Kontext dieser Ausführungen berücksichtigen müssen.

  1. Fehlende Sachlichkeit bei der Festlegung politischer Tätigkeit

Die bloße Darlegung einer militärischen Sicht für die Lösung irgendeines internationalen Problems entzieht einer politischen Partei nicht ihr politisches Wesen. Die republikanische Partei beispielsweise hat sich die Kriegsidee zueigen gemacht, um den irakischen Präsidenten zu stürzen und die Irakfrage im Interesse der Vereinigten Staaten zu lösen. Bedeutet die Aneignung dieser Kriegsidee durch die republikanische Partei etwa einen Aufruf zum Terrorismus, der ihr das Attribut der politischen Partei entzieht? Können wir in diesem Fall behaupten, dass es sich zwar um eine politische Bewegung handelt, deren Appell aber Gewalt fördert und sie deswegen verboten werden muss?

In gleicher Weise verhält es sich mit Hizb-ut-Tahrir. Sie legt eine politische Sicht zur Lösung eines bestimmten Problems dar und befindet, dass die Lösung des Palästina-, Irak- und Afghanistanproblems darin liegt, den Besatzer zu bekämpfen.

Wie kann es nun sein, dass man westlichen Parteien, die sich eine militärische Lösung aneignen, ihren politischen Charakter nicht abspricht, jedoch Hizb-ut-Tahrir, wenn sie die gleiche Lösung anspricht, ihr die politische Eigenschaft aberkennt und sie als gewaltfördernd bezeichnet?

Gehen wir aber noch einen Schritt weiter und fragen uns: Warum wird ein westlicher Denker, der über die Führung der Welt sinniert, als „Stratege" und politisch brillanter Geist bezeichnet, während man einen Muslim, der über dieselbe Sache nachdenkt, als Terrorist und Gewaltprediger ansieht? Warum wird ein westlicher Ideologe, der das Töten von Zivilisten in Kauf nimmt, um einen Krieg zu gewinnen, als politischer Denker angesehen, während ein Muslim, der den Märtyrertod erlaubt, um sein Land zu verteidigen, als Terrorist und Gewaltanstifter betrachtet wird?

Wenn Warren Christopher (ehemaliger Außenminister in der Clinton-Ära) erklärt: „Amerika muss führen [...]. Die amerikanische Führung (auf der Erde) ist unser erstes Prinzip und die grundsätzliche Lehre aus diesem Jahrhundert, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es sonst niemand tun würde, wenn wir es nicht tun." [31] Wenn jemand wie Warren Christopher das sagt, gilt er als politischer Denker, wenn aber Hizb-ut-Tahrir von der Führung der Welt durch die islamische Ideologie spricht, gilt sie als „totalitäre Partei", die „zum Terrorismus anstiftet".

Wenn eine Gruppe von Politikern aus den neokonservativen Reihen, zu denen Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld zählen, am 16. 1. 1998 einen offenen Brief an Präsident Clinton richten, indem sie die Eliminierung Saddam Husseins fordern - und zwar notfalls mit Gewalt -, dann hält man sie für brillante politische Köpfe. Ihr Brief, der offen zum Krieg anstiftet, wird auch nicht als terroristischer Aufruf bewertet. Im Gegenteil, er zählt zu den großartigen politischen Errungenschaften, die ein brillanter strategischer Kopf hervorgebracht hat. Niemand unter den westlichen Denkern entzog ihnen etwa die Eigenschaft Politiker zu sein. Wenn aber Hizb-ut-Tahrir die islamischen Armeen dazu aufruft, ihre Länder zu verteidigen und die Agenten und Verräter zu beseitigen, so wird sein Appell als gewaltfördernd bzw. als geistige Brandstiftung bezeichnet. Bei manchen westlichen Denkern wird sie sogar offen als terroristische Organisation angesehen.

Wo liegt hier die Sachlichkeit in der Differenzierung der politischen Tätigkeit? Welche Maßstäbe werden eigentlich seitens westlicher Denker und Soziologen angesetzt?!

Schluss:

In dieser Abhandlung habe ich mich nicht allen Punkten in ihrer Untersuchung gewidmet. Ich habe mich auf die erwähnten beschränkt, obwohl noch andere Punkte anzuführen wären. Ich glaube aber, dass diese Ausführungen ausreichend sind und hoffe, dass sie Ihre Zustimmung finden und Sie Ihre Darstellungen revidieren.

 

Mit freundlichen Grüßen

Okay Pala

Mediensprecher

von Hizb-ut-Tahrir

in Holland

25. 8. 2008

 

 

Verweise:

[1] Athena Intelligence Journal -Vol. 3, No 2, (2008), pp. 87-137

[2] Seite 90 der Zeitschrift u. [1]

[3] Seite 124, ebendort

[4] Macionis John (2003): Sociology, New Jersey Prentice Hall, p. 610

[5] Robert H. Lauer (1976): Social Movements and Social Change, Southern Illinois University Press, p. xiii

[6] S. 90, ebend.

[7] Macionis John (2003): Sociology, p. 611

[8] Robert Huckshorn (1984): Political Parties in America, Monterey, California: Brooks/Cole, p. 10

[9] Encyclopedia Americana

http://ap.grolier.com/article?assetid=0317380-00&templatename=/article/article.html

[10] S. 89, ebend.

[11] Wilson John (1973), Introduction to Social Movements, New York, Basic Books, p. 13

[12] Paul Byrne (1997), Social Movements in Britain, Routledge, London, p. 10

[13] Hans Haferkamp and Neil J. Smelser (1992), Social Change and Modernity, University of California Press, p. 43

[14] S. 89, ebend.

[15] S. 90, ebend.

[16] Paul Byrne (1997), Social Movements in Britain, p. 11-12

[17] Siehe z. B. Terrorism Monitor, Volume IV, Issue 24, December 14, 2006, Hizb-ut-Tahrir's Growing Appeal in the Arab World, By James Brandon, p. 7

[18] Paul Byrne (1997), Social Movements in Britain, p. 13

[19] S. 89, ebend.

[20] Lipset, Seymour Martin (2000), The Indispensability of Political Parties, Journal of Democracy, Vol. 11, No. 1, pg. 48-55

[21] The Role Of The Political Party In The United States: Is The Party Becoming Obsolete? By Cenap Cakmak, The Journal of Turkish Weekly, 30 August 2005

[22] ebend.

[23] Kirchheimer, Otto: "The Transformation of Western European Party Systems" in La Palombara, J.G.; Weiner, M.: Political Parties and Political Development. Princeton Univ. Press, 1966, p. 177-200

[24] Gunther, Richard and Larry Diamond (2001),"Types and Functions of Parties" in Political Parties and Democracy, eds. Larry Diamond and Richard Gunther. Baltimore: The Johns Hopkins University Press, p. 7-8

[25] ebend., ebenso bei: Wainwright, Hilary (1994), Arguments for a New Left: Answering the Free Market Right, Cambridge, MA: Blackwell. P. 212-213

[26] ebend. S. 123-124

[27] ebend. S. 113

[28] ebend. S. 113

[29] ebend. S. 115-116

[30] "Just War Theory" vs. American Self-Defense, Yaron Brook and Alex Epstein, The Objective Standard, Vol. 1, No. 1. 2006; http://www.theobjectivestandard.com/issues/2006-spring/just-war-theory.asp

[31] Warren Christopher, "America's Leadership, America's Opportunity," Foreign Policy 98 (Spring 1995), p. 8

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